Das Gehäuse zur Uhr, die atmet
Die Tischuhr Atmos der berühmten Schweizer Manufaktur Jaeger-LeCoultre basiert auf einem
besonderen Prinzip.
Im Uhrwerk lagert eine Kapsel, in die ein Gasgemisch eingebracht ist, das
sich bei Temperaturschwankungen ausdehnt und zusammenzieht. Die Volumenschwankungen
werden in Bewegungen umgesetzt, die das Werk der Uhr antreiben. Aus Wärme wird Druck, aus
Druck Bewegung, aus Bewegung gemessene Zeit.
Die Uhr funktioniert, wenn man so will,
organisch. Ihr Name ist Programm. "Atmos" ist altgriechisch – im Original: ατμσς – und bedeutet so viel wie
Dampf, Dunst oder Hauch. Kurzum: Atmos ist die Uhr, die atmet.
Was liegt näher als das Werk in ein Gehäuse zu kleiden, das auch atmet? Es gibt nur einen
Werkstoff, der diesem Anspruch genügt: Holz.
Holz spiegelt zum einen das Organische der
Funktionsweise der Uhr wider. Es ist zum anderen das warme Gegenstück zum Uhrwerk aus
kaltem Metall.
So nahe die Idee liegt, so fern mag doch die Umsetzung bisweilen sein. Ein
Entwicklungsingenieur aus Frankfurt, der seinerzeit mit Jaeger-LeCoultre zusammenarbeitete,
hatte den Einfall, das Werk der Atmos mit einem Holzgehäuse zu verbinden. Er hatte schon
detaillierte Entwürfe gezeichnet.
Doch wer sollte es bauen? Höchste Handwerkskunst, Präzision
und Akribie wären erforderlich, um aus einer papiernen Skizze eine dreidimensionale Wirklichkeit
zu schaffen.
Der Ingenieur sprach meinen Vater an, der seinerzeit im Kurs zum „Geprüften
Restaurator“ als Bester abgeschnitten hatte, und zeigte ihm die Zeichnungen. Nach genauem
Studium der Baupläne und einigen schlaflosen Nächten nahm meinen Vater den Auftrag an.
Er
fertigte zunächst das Werkzeug an, um die einzelnen Bauteile des Gehäuses überhaupt formen zu
können. Dann baute er in mühevoller Handarbeit aus Eben-, Ahorn- und Rosenholz das
Gehäuse, fertigte die Intarsien und polierte das Ganze mit Schellack.
Das Modell, welches Seitenflügel zum Aufklappen hat und die Weltkugel zeigt, ging in eine kleine,
exklusive Serie. Es diente häufig als Geschenk für prominente Kunden oder gute
Geschäftspartner. Die Serie wurde bis heute nicht wiederaufgelegt.